Mit dem Ruderboot von Linz fast nach
Istanbul
Viele bekennende Wanderruderer haben Träume oder Visionen
einmal ihr persönliches Ding umzusetzen. Sie träumen von
verschiedenen persönlichen Herausforderungen wie die Tour du
Lac Léman, die 140-km-Regatta auf dem Genfer See, einer
Kanalüberquerung, einer 100-km-Regatta auf dem Rhein oder die
Donau von Ulm bis zum Schwarzen Meer zu befahren. Bei vielen bleibt
nur der Traum übrig.
Die Idee schlummerte bereits länger in Paul, seitdem er vor
Jahren von Ulm nach Linz gerudert war und am Ziel das
Kilometerschild "2133" sah. Da habe er sich gedacht: "Was kommt da
alles noch auf der Strecke bis zur Mündung?" Doch es fehlte
die Zeit, um die Tour vernünftig zu planen und zu
verwirklichen.
Vor einem Jahr wurde der Gedanke dann konkreter. Paul
recherchierte über die Begebenheiten sowie die
Versorgungsmöglichkeiten entlang der Donau, wo es ja nicht
überall Städte oder zumindest kleine Dörfer gibt.
Schnell wurde ihm klar, dass er für die Tour mehrere Monate
einplanen muss. Er nahm ein Sabbatjahr und schloss sich der TID*
an.
Paul hat seinen Traum verwirklicht. Die Donau hat er von Linz
bis Sfantu Gheorghe in Rumänien am Schwarzen Meer mit der TID*
2016 befahren. Bis dahin waren es 2.135 km.
An 66 Rudertagen durchfuhr Paul mit seinem Einer die
Länder Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien,
Bulgarien und Rumänien. Die Türkei ist sein
Ziel. An Moldawien und der Ukraine ist er vorbeigefahren, da die
Grenze zu Rumänien zwischen diesen beiden Ländern in der
Flussmitte verläuft. An der Grenze zwischen der Ukraine und
Rumänien sind auch die letzten Wachtürme in Europa zu
sehen.
Die TID ist hervorragend organisiert. Jedes Land hat seine
eigene TID-Organisation und jedes Land zeigt sich von der besten
Seite angefangen über die Unterbringung, die Verpflegung und
die Planung. Es gibt landestypische Küche und jeden Abend das
obligatorische Bier.
Die längste Etappe war 57 km lang. Für einen Ruderer
sind 57 km nicht lang und für einen Rheinruderer schon gar
nicht. Paul bewältigte diese Etappe in einem 46 kg schweren
Einer und 55 kg Gepäck, sowie starken Gegenwind. Diese Etappe
wurde zu einer sportlichen Herausforderung für ihn. Neun
Stunden hat er für diese Strecke benötigt.
Entschädigt wurde Paul durch die schönen und wechselnden
Landschaften und den Gesprächen mit den Leidensgenossen, die
er überholte oder die ihn überholten. Aber irgendwann
vergeht der Spaß und kämpfen und durchhalten ist
angesagt. Boris Becker hätte sich jetzt in seinen Mentaltunnel
zurückgezogen.
Paul hat wie alle bei der TID überwiegend im Zelt
übernachtet. Aber wenn ihm der Schmutz auf die Nerven ging,
nahm er sich ein Hotel und stellte einen neuen Rekord im
Langstreckenduschen auf. Die wenigen Ruhetage waren nicht nur zum
Relaxen und für die Kultur bestimmt, sondern auch für
Reparaturarbeiten an Boot und Ausrüstung. Aber auch die Suche
nach einem Waschsalon kostete viel Zeit.
Paul hat auf seiner Fahrt viele interessante und nette Leute
aus verschiedenen Nationen kennengelernt und
Freundschaften geschossen. Mit seinen neuen Freunden
plant er die Wanderfahrten für das nächste Jahr. Paul
plant zwei Wanderfahrten in Serbien und auf der Adria für das
Ruderjahr 2017.
Besonders auf seiner Fahrt beeindruckt haben ihn Günther
und Karl beide weit über siebzig, die die komplette Tour von
2.480 km gepaddelt haben. Sie lassen Bernie Eccelstone mit seiner
ewigen Jugend vergessen. Karl Rost war von 1958 bis 1961 Mitglied
beim RC Germania Düsseldorf und rudert heute im Homberger
Ruderklub Germania von 1893. Karl wäre gerne die Strecke
gerudert, aber er fand leider keinen Mitstreiter.
Die TID war für Paul nach 2153 km in Sfanthu Gheorghe zu
Ende. Bisher wurde Paul organisatorisch von TID unterstützt,
jetzt ist er auf seiner Fahrt von Sfanthu Gheorghe nach Istanbul
auf sich alleine gestellt. Das sind noch mal ca. 700 km entlang der
Küsten Rumäniens, Bulgariens und der Türkei.
Zuerst ging es am südlich des Deltas gelegenen
Razim-Sinoie-Lagunenkomplex in Richtung Konstanza.
100 km durch fast menschenleeres
Gebiet. Dort sind wilde Pferde zu sehen und nachts heulen die
Goldschakale. Für diese Strecke ist ein Wasservorrat und
Proviant für mindestens fünf Tage erforderlich, da bei
schlechtem Wetter ein weiterrudern nicht möglich ist. Das
Wetter am Schwarzen Meer ist ab Ende August in der Regel
wechselhaft und die See kann innerhalb kürzester Zeit sehr rau
werden.
Die erste Herausforderung stellte sich mit der Umfahrung des
Hafens von Konstanza. Der Hafen ist mit einer ca. 12 km langen
Steinmole vor den Wellen geschützt. Hier gibt es keinerlei
Möglichkeit anzulanden. Bei Gegenwind und hohen Wellengang hat
Paul mehr als 3 Stunden für die Umfahrung gebraucht.
Weiter ging es dann entlang der mit Hotels verbauten Küste.
Hier kam Paul oft mit den einheimischen Fischern in Kontakt. Sie
leben in ärmlichen Hütten ohne Strom, fließendes
Wasser und Toiletten. Diesen Lebensstandard würde man eher in
einem Entwicklungsland erwarten und nicht in einem Staat der
EU.
In Mangalia musste er sich dann mit seinem "Schiff"
ausklarieren. Dann ging die Reise weiter nach Bulgarien. Die 30 km
Steilküste und die Umrundung des 70 m hohen Kap Kaliakras war
bei schönstem Wetter kein Problem. In Baltschik musste er sein
"Schiff" dann in Bulgarien einklarieren. Ab Albena ging es dann
über den "Goldstrand", dem neuen Ballermann bis nach Varna.
Hier traf Paul seinen Freund Ivo wieder, den er auf der TID
kennengelernt hat. Ivo hat Paul einige Tage mit seinem Seekayak
begleitet.
Nach 3 Ruhetagen und der Besichtigung der Stadt ging die Fahrt
dann, diesmal begleitet von Monika, einer Kanutin von der TID
weiter Richtung Burgas. Am Ufer wechselten sich menschenleere
Strände mit Steilküste ab. Je näher man jedoch an
Burgas herankam, desto ausgedehnter wurden die Hotelkomplexe wie
z.B. Sonnenstrand, Rawda und Sweti Wlas in der Nähe des
Weltkulturerbes Nessebar.
Nach Überquerung der 10 km breiten Bucht von Burgas bei
Pomorie ging es weiter vorbei an Sozopol und dem
Biosphärenreservat Ropotamo. Im Biosphärenreservat
befindet sich die thrakische Kultstätte Begliktaš (14. Jh
v. Chr.).
Nach dem Ausklarieren in Zarewo ging es dann alleine in die
Türkei. Mehmet, ein Freund von Paul war schon vor Ort in
Istanbul, um
dort mit den lokalen Behörden die
Einreiseformalitäten zu klären. Die Einreise schien am
Anfang, laut Aussage der Behörden, kein Problem zu sein,
sodass Paul seine Reise vorbei an einsamen Stränden und
schönen Steilküsten bis nach Karacaköy (Evcik Plaji)
fortsetzte. Wegen des schlechten Wetters musste Paul dort, 70 km
Luftlinie von Istanbul entfernt, erst einmal eine viertätige
Zwangspause einlegen. Die einheimischen Fischer haben ihn sehr
fürsorglich versorgt.
Zwischenzeitlich war Mehmet mit dem Vorsitzenden des Ruderklubs
der Universität Istanbul bei der Einreisebehörde. Dabei
kam dann heraus, dass eine Einreise mit einem nicht registrierten
Boot illegal ist und sobald Paul dort auftauchen würde,
würde er abgeschoben. Für Paul war das Risiko zu hoch und
er ruderte die 100 km zurück nach Zarewo in Bulgarien.
Ein weiterer Grund der Rückreise war auch, dass die
Durchfahrt durch den Bosporus für mit Muskelkraft betriebene
Boote nicht erlaubt ist. Eine behördliche Genehmigung
hätte Monate dauern können. Der eingeschaltete
türkische Ruderverband konnte auch nicht helfen. Weitere
Informationen über die Reise von Paul findet ihr
hier.
Fazit
95 Rudertage haben Paul geprägt. Es sind die
unterschiedlichsten Erfahrungen die Paul geprägt haben. Es
sind die Menschen, die er auf der TID kennengelernt hat. Kanuten
und Ruderer aus verschiedenen Nationen, von denen jeder eine andere
Erwartung hatte. Für die einen stand die sportliche Leistung
im Vordergrund und für die anderen die unterschiedlichen
Landschaften, die Kulturen der Länder, die verschiedenen
Städte und Dörfer. Paul hat viele nachhaltige
Freundschaften geschlossen. Besonders beeindruckt hat ihn die
Herzlichkeit und Gastfreundschaft der in ärmlichen
Verhältnissen lebenden Fischer am Schwarzen Meer.
Viele Strecken ruderte Paul bei angenehmen Temperaturen und
leichtem Rückenwind allein und genoss die wechselnden
Landschaften und die Ruhe. Balsam für die geschundene
Rudererseele. Aber es gab auch die Etappen von über 50 km bei
40 Grad oder kühlen 15 Grad mit einem ordentlichen Gegenwind.
Am Ende einer solchen Etappe nach 8 oder 9 Stunden ging es nur noch
darum die Gedanken an das Aufhören zu verdrängen.
Und jeden Morgen begann der Kampf aufs Neue. Es ging fast drei
Monate so. Paul wacht auf, versucht den Muskelkater aus dem
Körper zu schütteln, seine Finger gerade zubekommen,
packt seine Sachen zusammen und blickt auf sein Ruderboot. Soll er
wirklich wieder einsteigen und gleich weiterfahren? Paul wurde auf
dieser Reise ein Meister der Selbstmotivation und stieg immer
wieder ins Boot.
Die positiven Erlebnisse überwiegen und Paul ist stolz auf
das Erreichte. Er möchte keinen Kilometer und keinen Tag
missen. Dass er 70 km vor Istanbul an den Verwaltungsvorschriften
der türkischen Behörden bei Einreise gestrandet ist,
fällt nicht ins Gewicht.
Eine Atlantiküberquerung plant er nicht. Es ist zu
langweilig, da ist zu viel Wasser. Ansonsten ist er für jede
ruderische Herausforderung bereit.
Das Boot
Eine der größten Schwierigkeiten seiner Reise war das
Anlanden an den Sandstränden und einer Wellenhöhe
größer 80 cm. Hierbei
ist Paul jedes Mal gekentert und hat
sich einmal sogar vollständig überschlagen. Die Wellen im
Schwarzen Meer laufen leider nur sehr kurz aus und haben deswegen
noch eine sehr hohe Energie.
Insgesamt ist das 4,70 m lange, 46 kg schwere Boot der
schwedischen Werft für diese Art von Touren sehr gut geeignet.
Es bietet mehr als genug Stauraum für Trackingausrüstung,
Werkzeug, Bootswagen und Klamotten. Seine 55 kg Ausrüstung
konnte er problemlos unterbringen. Ein paar Ersatzskulls fanden
auch noch Platz.
Das Boot mit einer Breite von 1,15 m ist sehr stabil und Wellen
bis zu 2 m Höhe stellen keine Herausforderung dar. Man kann
darin liegen und auch problemlos stehen, was bei Tagesetappen von
8-10h schon ganz angenehm ist. Selbst bei größeren Wellen
ist es fast unmöglich Wasser zu übernehmen, sodass
man immer im trockenen sitzt. Einziger Nachteil ist der relativ
hohe Aufbau, sodass sich bei Gegenwind ab 3 Bft. nur noch
Geschwindigkeiten um die 3 km/h erzielen lassen. Normalerweise
erreicht man mit dem voll beladenen Boot bei relativ ruhigem Wasser
eine Geschwindigkeit von 6-8 km/h.
Die TID*
Die TID ist die längste Kanu- und Ruderwanderfahrt der Welt
auf der Donau; sie wird seit 1956 jährlich veranstaltet.
Ausrichter ist ein eingetragener Verein, der die Fahrt unter dem
Dach der Kanuverbände der beteiligten Länder
durchführt.
Die Tour ist eine Wanderfahrt mit Gepäck. Die jetzige
Strecke beginnt seit 1969 (XIV. TID) immer Ende Juni in Ingolstadt.
Sie führt durch die weiteren organisierenden Länder
Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien
sowie Rumänien und endet Mitte September nach 2.516 Kilometern
in Sfântu Gheorghe (Rumänien) am Schwarzen Meer.
Paul Grant
Der 53-Jährige lebt in Hamburg ist mit Mitglied im
Alster-Ruderverein Hanseat von 1925. Früher lebte Paul 20
Jahre lang in Düsseldorf. Dort begann er mit dem Rudern. Bis
heute ist er Mitglied bei dem RC Germania Düsseldorf und ist
ein Fan des Rheinmarathons. Kontakt:
paul.grant@t-online.de
Die Kosten
Das Unternehmen "Linz - Istanbul" kostete Paul rund 12.000
€. Es war seine beste und nachhaltigste Investition, die er
bisher getätigt hatte. Paul zahlte für das Boot 5.900
€, für die Organisationsgebühr der TID 335 €
und ca. 5.500 € für Verpflegung und
Reisekosten.